Tiergedichte von Busch, Rilke, Seidel und Storm

Tiergedichte von Wilhelm Busch, Heinrich Seidel, Rainer Maria Rilke und Theodor Storm

Löwenmacher

Drei Brahmanensöhne gingen,
wohl geschickt in allen Dingen,
wandern in die weite Welt.
Sie gedachten, vieles Geld
Dort, vermöge ihre Kunst,
Ehrenstellen, Fürstengunst,
Ruhm und Beifall zu erlangen
und dereinst im Glück zu prangen.

Was im Kopf nur wollte haften
von geheimen Wissenschaften,
hatten alles sie gelernt,
jahrelang der Welt entfernt.
In der schwarzen Kunst Bereich
tat es ihnen keiner gleich,
und was war und was gewesen,
alles hatten sie gelesen.

Eines Tags mit schnellen Tritten
kam ein Wandersmann geschritten,
schloss sich diesen dreien an.
"Sprich, wer bist du, fremder Mann?"
Dieser gab das Wort zurück:
"Fürstengunst und Ruhm und Glück
in der Welt mir zu gewinnen,
zieh ich aus mit leichten Sinnen!"

"Sprich, was lerntest du, was weißt du?
Welcher Künste Meister heißt du?"
"Lernen tat ich nichts, ihr Herrn!
Ich vertraue meinem Stern.
Ich bin pfiffig und gewandt,
und gesund ist mein Verstand,
Das genügt bei allen Sachen,
um damit sein Glück zu machen!"

"Ach, umsonst ist all dein Streben!
Dafür wird kein Mensch was geben!
Wandre nur in guter Ruh
wieder deiner Heimat zu!
Aber wir - wir sind gelehrt!
Uns're Kunst ist Goldes wert!
Der Verstand ist das Gemeine,
doch Gelehrsamkeit das Feine!"

Als sie eben so gesprochen,
fanden eines Löwen Knochen
sie am Wege rings verstreut,
und der eine rief erfreut:
"Ha, nun zeiget diesem Mann,
was ein jeder von uns kann!
Ward uns doch die Kunst gegeben,
diesen Löwen zu beleben!"

Und die Knochen nahm der eine,
legte sorgsam Bein zu Beine,
und der zweite fügte dann
Fleisch und Fell behutsam an.
Doch der dritte sprach: "Nun seht,
was ein weiser Mann versteht!
Jetzt will ich in seine Nasen
den lebend'gen Odem blasen!"

Doch der Fremde rief: "Ihr wisst es,
denkt daran, ein Löwe ist es!
Glaubet mir, er frisst euch auf!"
Doch der dritte schrie darauf:
"Meinest du, der Weisheit Kraft
und die Kunst der Wissenschaft
soll in meinen Händen schlafen,
da wir es so günstig traten?!"

"Ach, entschuldigt, " sprach der vierte,
"wenn ich ungelehrsam irrte.
Gebt mir eines Weilchens Raum,
bis ich stieg auf jenen Baum!"
Als er saß auf sich'rem Ast,
rief der dritte: "Aufgepasst!
Jetzt wird meine Kunst das Leben
diesem toten Löwen geben!"

Hei! wie sich das Untier reckte
und die mächt'gen Glieder streckte,
mit dem Schweif die Flanken schlug
und so stolz die Mähne trug!
Brüllte darauf grauenhaft,
schlug mit seiner Pranken Kraft
alle drei zu Boden nieder
und verzehrte ihre Glieder. -

Als der Löwe fortgegangen,
stieg der Fremde ohne Bangen
von dem sicher'n Ast herab,
griff zu seinem Wanderstab,
sprach: "Zwar bin ich ungelehrt,
doch Verstand ist auch was wert!
Hätt' ich solche Kunst besessen,
wär' auch ich mit aufgefressen!"

Heinrich Seidel

Hund und Katze

Miezel, eine schlaue Katze,
Molly, ein begabter Hund,
Wohnhaft an demselben Platze,
Hassten sich aus Herzensgrund.

Schon der Ausdruck ihrer Mienen,
Bei gesträubter Haarfrisur,
Zeigt es deutlich: Zwischen ihnen
Ist von Liebe keine Spur.

Doch wenn Miezel in dem Baume,
Wo sie meistens hin entwich,
Friedlich dasitzt, wie im Traume,
Dann ist Molly außer sich.

Beide lebten in der Scheune,
Die gefüllt mit frischem Heu.
Alle beide hatten Kleine,
Molly zwei und Miezel drei.

Einst zur Jagd ging Miezel wieder
Auf das Feld. Da geht es bumm.
Der Herr Förster schoss sie nieder.
Ihre Lebenszeit ist um.

Oh, wie jämmerlich miauen
Die drei Kinderchen daheim.
Molly eilt, sie zu beschauen,
Und ihr Herz geht aus dem Leim.

Und sie trägt sie kurz entschlossen
Zu der eignen Lagerstatt,
Wo sie nunmehr fünf Genossen
An der Brust zu Gaste hat.

Mensch mit traurigem Gesichte,
Sprich nicht nur von Leid und Streit.
Selbst in Brehms Naturgeschichte
Findet sich Barmherzigkeit.

Wilhelm Busch

Die Teilung

Es hat einmal, so wird gesagt,
Der Löwe mit dem Wolf gejagt.
Da haben sie vereint erlegt
Ein Wildschwein, stark und gut gepflegt.
Doch als es ans Verteilen ging,
Dünkt das dem Wolf ein misslich Ding.
Der Löwe sprach, "Was grübelst Du?
Glaubst Du, es geht nicht redlich zu?
Dort kommt der Fuchs, er mag entscheiden,
Was jedem zukommt von uns beiden."
"Gut', sagt der Wolf, dem solch ein Freund
Als Richter gar nicht übel scheint.
Der Löwe winkt dem Fuchs sogleich:
"Herr Doktor, da ist was für Euch.
Hier dieses jüngst erlegte Schwein,
Bedenkt es wohl, ist mein und sein.
Ich fasst es vorn, er griff es hinten;
jetzt teilt es uns, doch ohne Finten."
Der Fuchs war ein Jurist von Fach.
"Sehr einfach", sprach er, "liegt die Sach.
Das Vorderteil, ob viel ob wenig,
Erhält mit Fug und Recht der König.
Dir aber, Vetter Isegrimm,
Gebührt das Hinterteil. Da nimm!"
Bei diesem Wort trennt er genau
Das Schwänzlein hinten von der Sau.
Indes: der Wolf verschmäht die Beute,
Verneigt sich kurz und geht beiseite.
"Fuchs", sprach der Löwe, "bleibt bei mir.
Von heute ab seid Ihr Großvezier."

Wilhelm Busch

Der Esel

Es stand vor eines Hauses Tor
Ein Esel mit gespitztem Ohr,
Der käute sich sein Bündel Heu
Gedankenvoll und still entzwei.

Nun kommen da und bleiben stehn
Der naseweisen Buben zween,
Die auch sogleich, indem sie lachen,
Verhasste Redensarten machen,
Womit man denn bezwecken wollte,
Dass sich der Esel ärgern sollte.

Doch dieser hocherfahrne Greis
Beschrieb nur einen halben Kreis,
Verhielt sich stumm und zeigte itzt
Die Seite, wo der Wedel sitzt.

Wilhelm Busch

Das Einhorn

Der Heilige hob das Haupt, und das Gebet
fiel wie ein Helm zurück von seinem Haupte:
denn lautlos nahte sich das nie geglaubte,
das weiße Tier, das wie eine geraubte
‚hülflose Hindin‘ mit den Augen fleht.

Der Beine elfenbeinernes Gestell
bewegte sich in leichten Gleichgewichten,
ein weißer Glanz glitt selig durch das Fell,
und auf der Tierstirn, auf der stillen, lichten,
stand wie ein Turm im Mond, das Horn so hell,
und jeder Schritt geschah, es aufzurichten.

Das Maul mit seinem rosagrauen Flaum
war leicht gerafft, so dass ein wenig Weiß
(weißer als alles) von den Zähnen glänzte;
die Nüstern nahmen auf und lechzten leis.
Doch seine Blicke, die kein Ding begrenzte,
warfen sich Bilder in den Raum
und schlossen einen blauen Sagenkreis.

Rainer Maria Rilke

Die Nachtigall

Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.

Sie war doch sonst ein wildes Blut
Nun geht sie tief in Sinnen,
Trägt in der Hand den Sommerhut
Und duldet still der Sonne Glut
Und weiß nicht, was beginnen.

Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.

Theodor Storm

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